Kreuzigung

Das Drama der aufeinanderfolgenden Szenen der Passion Christi findet im Marienaltar eine bewundernswerte Parallele im Drama der Form und der künstlerischen Ausdrucksweise.

Stoß‘ Temperament zeigte sich am deutlichsten in der „Anatomie der Gewänder“ – gründliche und fast obsessive Studien der wirbelnden, verschlungenen Materie. Die unter den Stoffen sichtbaren Körperteile sind ebenso expressiv – trocken, mit Adern durchzogen und mit Sehnenfurchen zerfurcht.

Der Realismus in der Behandlung des menschlichen Körpers grenzt manchmal an Naturalismus und dient der Verstärkung des emotionalen Ausdrucks der Figuren. Wenn man diese hervorragende Kreuzigung betrachtet, sollte man daran denken, dass ihr Schöpfer in einer Übergangszeit lebte. Geboren in der Blütezeit der Renaissance, überlebte er Leonardo da Vinci und Raffael Santi um fast zwanzig Jahre.

Dennoch zeigen seine Werke kaum Spuren des neuen Stils. In den aggressiv verdrehten Figuren, in den expressiven, trockenen Falten, die vom Meister geschnitzt wurden, lauert der Tod. So stirbt das Mittelalter!

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